Die Stimmen der Amseln


Anthologie baskischer Literatur



Mikel Babiano López de Sabando

138 Seiten, broschiert
2019
Auflage: 200 Stück, € 22
ISBN 978-3-901735-33-2




EINLEITUNG

C'est icy un livre de bonne foy, lecteur. Mögen die Worte von Michel de Montaigne, die 500 Jahre später Max Frisch und Ramon Saizarbitoria inspirierten, auch uns begleiten. Das ist ein aufrichtiges Buch, Leser, es warnt Dich schon beim Eintritt!
Literatur ist Spiegelung einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit, da jede Generation (eigentlich jeder Mensch) ihre Welt selber interpretiert und konsequent darstellt. Übersetzungen, die während der Zeit erfolgen, dienen natürlich dazu, und wir haben in diesem Buch versucht, die poetische Stimme bzw. Stimmen des Baskischen Volkes den Deutsch-Sprachigen des 21. Jahrhunderts näherzubringen. Was ist aber das Baskische Volk? Gibt es das überhaupt? Wenn ja, wie sollte man es bezeichnen?
Man kann die Frage unterschiedlich beantworten, je nach dem, worauf man achtet. Wichtig ist, jetzt zu wissen, dass die Baskische Sprache (Euskara) eine große Rolle gespielt hat - und immer noch spielt. Deswegen haben wir für diese Sammlung Gedichte ausgewählt, die auf Baskisch entstanden sind. Und wir ahnen schon die nächste Frage: Gehören dann Gedichte, die auf Spanisch oder Französisch geschrieben wurden, nicht zur Baskischen Literatur? Sind diese Sprachen nicht auch Teil des so genannten Baskischen Volkes? Doch! Es gibt in der Dichtkunst der letzten Jahrzehnte sogar viele Leute, die das Baskenland aus ganzem Herzen liebten - lieben - und aus verschiedenen Gründen nicht auf Baskisch geschrieben haben. Ernestina de Champourcin, Ángela Figuera Aymerich, Gabriel Celaya und Blas de Otero Muñoz sind gute Beispiele dafür. Darüber hinaus haben sie Einfluss auf zahlreiche Autorinnen ausgeübt, die u.a. in dieser Sammlung zu finden sind.
Wir wollen damit zeigen, dass Begriffe wie "Baskisches Volk" oder "Baskische Literatur" und "Baskische Kultur" immer noch umstritten sind. Eine Sache ist aber klar: Das Baskische gilt, wie oben erwähnt, als Identitätswahrzeichen für die meisten Baskisch Sprechenden, die sich selber "Euskaldun" oder wörtlich, "Baskisch-Inhaber" nennen. Wir können auch nicht vergessen, dass die Autoren und Autorinnen, denen die Leser*innen in den folgenden Seiten begegnen, sich bewusst entschieden haben, auf Baskisch zu schreiben. Auf diese Weise ist dieses Buch nicht mehr und nicht weniger als ein Stück des riesigen Puzzles unserer Gesellschaft und unserer Kultur, ein Stück, das so wichtig ist wie jedes andere, wenn wir unsere Welt verstehen wollen.
Soweit zum "Baskischen Volk". Wir wollen jetzt ein paar Worte über diese Sammlung sagen. Viele Baskische Gedichte sind mehrmals übersetzt worden und es gibt Anthologien auf Spanisch, Italienisch, Englisch und Französisch (siehe Bibliographie). Auf Deutsch sind einige Gedichte erschienen bzw. enthielt die letzte Auswahl von Euskalema Gedichte von Gabriel Aresti und Bertolt Brecht. Unser Buch ist trotzdem, insofern wir gut informiert sind, das erste, in dem eine so umfassende Gedichtauswahl direkt aus dem Baskischen ins Deutsche übersetzt wurde.
Da der Platz begrenzt ist und jedes Buch gezwungenermaßen einen Anfang und ein Ende haben muss, ist es nie einfach, sowohl Dichter*innen als auch Gedichte auszusuchen. Das Buch hat sicher Lücken, und etliche berühmte Namen können vermisst werden. Man sollte dabei beachten, dass diese Auswahl nicht unbedingt die Liste der kanonisch-zentralen Baskischen Schriftsteller wiedergibt, d.h. es gibt unter den Dichtern und Dichterinnen, die hier der Leser kennenlernen wird, einige, die im Baskenland zu den bekanntesten und preisgekröntesten gehören. Und es gibt auch andere, die nicht Teil des offiziellen Kanons sind und trotzdem aus der Peripherie schreiben und veröffentlichen. Unser Ziel dabei war, so offen wie möglich damit umzugehen und so die Vielfalt der Baskischen Poesie darzustellen. Uns war es deshalb wichtig, Dichter und Dichterinnen aus dem gesamten Baskenland unterschiedlichen Alters und unterschiedlichen Stils auszusuchen, die bei diversen Verlagen (Elkar, Maiatz, Pamiela, Susa, Erein ...) veröffentlicht wurden und weiter veröffentlichen.
Wir müssen auch zugeben, dass wir Baskischen Dichterinnen eine besondere Bedeutung verliehen haben, weil sie oft - sogar im Baskenland - durchsichtig sind und es leider immer noch nicht so einfach wie ihre männlichen Kollegen haben.
Zum Schluss gibt es bei uns auch viele Leute, die sehr gute Gedichte - auch in der Schule, im Krankenhaus, im Gefängnis, ... schreiben, sie aber (noch) nicht bekannt machen wollen. Da, wie gesagt, unser Platz begrenzt ist, haben wir Gedichte von Leuten ausgewählt, die zumindest ein Gedichtbuch auf die Welt gebracht haben. Kurz und gut, wir streben danach, in die bis jetzt ermittelte Geschichte zu vertiefen und sie zu ergänzen.
Diese Anthologie enthält vor allem Gedichte zeitgenössischer Autorinnen und Autoren. Wir haben aber auch versucht, einige Gedichte zu übertragen, die bewusst oder unbewusst die Entwicklung der Baskischen Weltanschauung und Dichtung vom Mittelalter bis zur Gegenwart darstellen. Das ist bei so wenig Platz natürlich eine allzu skizzenhafte und nicht realistische Aufgabe, denn wir können dazu nicht mehr als ein paar Notizen geben. Wir hoffen aber, dass Deutschsprachige, sich zum ersten Mal der Baskischen Kultur nähernd, es einigermaßen interessant und bereichernd finden werden.
Schließlich wird der Leser hier Gedichte finden (Balladen, Volkslieder, Schlaflieder, usw.), die aus heutiger Sicht evtl. nicht als solche bezeichnet werden könnten. Was aber ist ein Gedicht? Dieses Werk will erreichen, damit ganz offen und ohne Vorurteile umzugehen. Nehmen wir z.B. den Begriff Kunst, und werden sofort begreifen, dass er zum großen Teil mit den menschlichen Schöpfungen des modernen Abendlands verbunden ist. Es dauerte eine Weile, bis die Entdeckungen der Altsteinzeit (siehe auch Afrika, Ozeanien, Australien) als Kunst angesehen wurden, weil die europäischen Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts davon ausgingen, dass nach der Evolutionstheorie solche "alten und primitiven" Völker keine Kunst schaffen konnten, als wäre Kunst nur für "zivilisierte und fortgeschrittene" Völker reserviert. Heutzutage haben wir solche Zusammenhänge längst überwunden, und es ist nötig - auch in der Literatur bzw. in der Poesie - diesen Weg weiterzugehen. Tragen im Endeffekt das, was wir unter Poesie verstehen, und die Gedichte selbst nicht dazu bei, durch Wörter eine neue Welt zu schaffen? Dabei spielt die Baskische Poesie selbstverständlich auch eine Rolle.