DER GRASMANTEL
An der Fundstelle der Gletscherleiche wurden bei der Nachuntersuchung drei größere Reste eines Grasgeflechtes gefunden. Untersuchungen führten schließlich zum Schluß, daß es sich um Teile eines geflochtenen Grasmantels handeln muß. Die Fundstellen der Reste weisen daraufhin, daß Ötzl den Mantel vor seinem Tod angelegt hatte.
Der in Zwirnflechtung angefertigte Mantel besteht aus über 1 Meter langen schilfartigen Gräsern, die von alpinen "Süßgräsern" stammen.
Der Grasumhang erreicht im vollständigen Zustand eine Länge von ca. 90 cm, reicht also bis zum Knie seines Trägers. Ob er eventuell über seitliche Armschlitze verfügte, ist anhand der Überreste nicht mehr feststellbar.
Die obere Kante des Mantels ist in einer einfachen Zwirnbindung geflochten. An diese Kante wurden in regelmäßigen Abständen auch mehrere Grasschnüre angeknüpft, deren Funktion aber nicht bekannt ist.
In der oberen Hälfte des Mantels folgen von oben nach unten noch weitere sieben oder acht horizontale Zwirnbindungen. Die senkrecht verlaufenden Grashalme selbst sind nicht miteinander verflochten oder verzwirnt, erst diese in Abständen von sechs oder sieben Zentimeter angelegten waagrechten Zwirndurchschüsse machen den Umhang zu einem Flechtwerk.
Dieses Geflecht erreicht eine Länge von 50 cm, danach fallen die Gräser wie ein Fransenvorhang noch ca. 40 cm frei nach unten.
Der Mantel ist vorne durchgehend offen. Seine beiden Längskanten werden durch Grasschnüre gebildet, an die die waagrecht durchgeschossenen Zwirne geknotet sind.
Die lockere Flechtweise im oberen Teil mit den relativ weiten Abständen zwischen den Zwirnbindungen sowie die langen Fransen im unteren Teil bewirken, daß der Mantel nicht zu steif ausfällt und somit die Beweglichkeit des Trägers nicht zu sehr beeinträchtigt.
Der Grasumhang besitzt mehrere Vorteile. Er läßt sich leicht an- und ablegen. Vor allem dient er aber bei Schlechtwetter als geeigneter Schutz, da Gras- und Strohgeflechte stark Wasser abweisend sind. Bei feuchtem Boden kann er darüberhinaus als eine Art Isoliermatte benutzt werden, in der Nacht findet er als Decke Verwendung. Auf der Jagd kann er zudem als Tarnung dienen.
Die Zweckmäßigkeit solcher Grasumhänge zeigt auch die Tatsache, daß sie in einigen Gegenden bei Hirten bis ins 20. Jahrhundert in Gebrauch waren.