Gerald Kurdoğlu Nitsche
 

 

I have a dream, in memoriam Martin Luther King (Öl auf Leinwand, 120 x 90 cm, 1968), dem großen Apostel und Märtyrer der Verständigung, der Gewaltlosigkeit und des Friedens ist dieses Bild gewidmet; es bleibt zu hoffen, dass seinetwegen die Geschichtsschreiber des 20. Jh.s Grund dazu finden, an dieser Epoche auch menschliche Züge zu entdecken

Gleich zu Beginn seiner „akademischen“ Laufbahn hat der Maler Nitsche mit dem Bild „I have a dream, in memoriam Martin Luther King“ von 1968 eine Art sowohl malerisches als auch geistiges Programmbild vorgelegt. In ihm zeigt sich bereits das in seinem malerischen Schaffen der 70er und 80er Jahre immer wieder zum Ausdruck kommende Zusammenführen und Verknüpfen von kulturellen, politischen, religiösen und subjektiven Gedankeneinlagerungen auf der inhaltlichen Ebene mit Elementen der in Österreich ganz aktuellen „neuen Wirklichkeit“, solchen der Pop-Art oder des gerade in Österreich der Nachkriegszeit eine bedeutende Rolle spielenden Surrealismus zu einem programmatischen Gesamtbild auf der stilistischen Ebene. Künstlerische Weggefährte waren ihm damals (noch) die von Otto Breicha 1968 so bezeichneten „Wirklichkeits“- Maler Kurt („Kappa“) Kocherscheidt oder Robert Zeppel-Sperl gewesen. Mit ersterem hat er gemeinsam die Meisterklasse bei Pauser an der Wiener Akademie belegt, letzterer zählte zu seinen damaligen Freunden wie auch Chryseldis Hofer, Erwin Reheis oder Peter Blaas, mit denen er immer noch freundschaftlich verbunden ist.

Apokalypse 12,1-12,17 (130 x 130 cm, Öl auf Leinwand, 1974). Eine schwangere Frau von der Sonne bekleidet, zu ihren Füßen der Mond, ein zweites Zeichen, ein großer Drache. Im Himmel brach ein Kampf aus

Neben „ornamentellen Arbeiten“ und „äußeren und inneren Bildern“ schuf G.K.N. um 1975 als ersten künstlerischen Höhepunkt den Zyklus zur „Apokalypse“, dem um 1983 jener der „Metamorphosen“ folgt. Hier wie dort setzt sich der Künstler, der in diesen Bildern bereits die Orientierungssuche der frühen Schaffenszeit abgelegt hat, mit dem geschriebenen Wort auseinander, mit der Geheimen Offenbarung des Johannes zum einen und mit Ovids „Metamorphosen“ zum anderen.

Das Eiserne Zeitalter (Ovid "Metamorphosen", 105 x 85 cm, Öl, Montage auf Leinwand, 1982) ist noch immer voll im Gange, mit Besitzstreben, Neid, Aggression, Krieg

Beide Zyklen halten sich jedoch nicht wörtlich oder rein illustrierend an die Textvorlagen. Im Gegenteil, wie bereits bei „In memorian Martin Luther King“ vermischt sich auch hier Inneres und Äußeres, Vorgegebenes und Erinnertes, Vergangenes und Gegenwärtiges zu einer, zwischen dem Abbilden der realen Wirklichkeit und dem Aufspüren surrealer Empfindungen und Vorstellungen changierenden subjektiven Bildsprache.

Sintflut (Zyklus Metamorphosen, 105 x 85 cm, Öl auf Leinwand, 1982). In vielen mythologischen Texten wird von der großen Flut berichtet, die Situation unserer Umwelt kommt einer neuen Sintflut gleich

Drei Jahre nach der erstmaligen Präsentation der Apokalypse-Bilder in den Kellerräumen des Landecker Schlossmuseums 1975 überrascht G.K.N. das Kunstpublikum 1978 in der Galerie Elefant mit äußerst malerischen, fast monochrom gehaltenen „neuen Bildern“, z. B. mit einer kleinformatigen „Meerlandschaft“ von 1977 oder mit einem „Stilleben mit abwesenden Gegenständen“ (1978). „ich habe versucht Einfaches still darzustellen“, schreibt der Künstler selbst im Katalog über diese Bilder, in denen er an die der Akademiezeit anknüpft und sich wieder den traditionellen Themen der Malerei stellt. Nicht zuletzt unter dem Eindruck seines zweimaligen Türkeiaufenthaltes hat G.K.N. die Monochromie dieser damaligen kleinen Bilder in manchen inzwischen dazugekommenen großformatigen beibehalten.

Blaue Moschee, Siebdruck, 2004

Dazu haben sich weitere, von der äußeren Natur ausgehende Landschaftsbilder und zahlreiche realistische Porträts gesellt, aber auch Versuche, die sichtbare Natur in ein malerisches abstraktes Farbgefüge überzuführen.

Porträt Eberhard Steinacker (1982), "Porträtmalerei ist ein Annäherungsversuch, aber es geht nicht um die Ähnlichkeit, es geht um die Wahrheit!"

Mit all diesen Bildern identifiziert sich der selbstkritische und dennoch zugleich fast wie ein Maler des ausgehenden 19. Jahrhunderts sich präsentierende Nitsche mit der Katze im Arm. Letztere ist, so der Künstler, ständig beim Malen auf der Insel Burgaz vor Istanbul auf seinem Schoß gelegen und daher hat er sie ganz selbstverständlich in das Selbstbildnis mit aufgenommen. Geht man aber davon aus, dass in einem Bild nichts selbstverständlich, sondern alles beabsichtigt ist, dann kommt der Katze als Attribut und Symbol eine nicht zu übersehende Bedeutung zu. Bei den Kelten galt diese sowohl als starker Beschützer in schwierigen Situationen als auch als Hüter der Seelenkräfte. Wegen ihrer Eigenwilligkeit und Undurchschaubarkeit wurde sie im Mittelalter mit dem Teufel und den Hexen in Verbindung gebracht. Heute, so Karl Veitschegger in seiner „Tiersymbolik in Bibel und christlicher Tradition“ (2001), steht sie in erster Linie für die Freiheitsliebe und die Suche nach Geborgenheit zugleich. Vielleicht sind es auch diese der Katze zugeschriebenen gegensätzlichen Eigenschaften der Eigenwilligkeit und Freiheitsliebe, gepaart mit einer gleichzeitigen Sehnsucht nach Geborgenheit und Heimat sowohl in künstlerischer als auch geistiger Hinsicht, welche den Menschen und Künstler G.K.N. auszeichnen. Der gelbgrüne Schatten, den G.K.N. auf die weiße Wand im Hintergrund wirft, könnte davon Zeugnis geben.

In diesem Sinne, lieber Gerald, lieber Kurdoğlu, lieber Nitsche, alles Gute zum 65. Geburtstag und weiterhin frohes Schaffen!
Günther Dankl

Bäume, japanische Tusche, Fotsch, 1984

 
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