DAS OBERGEWAND


Ötzls Oberkleid ist nur fragmentarisch erhalten und läßt sich nicht mehr vollständig rekonstruieren. Sein genauer Zuschnitt ist daher nicht bekannt. Die vorhandenen Teile lassen aber erkennen, daß dieses zweckmäßige Gewand sehr sauber gearbeitet war.

Fest steht, daß dieser Mantel aus zahlreichen kleinen rechteckigen, vermutlich rauchgegerbten Fellstücken zusammengenäht war. Die Fellteile selbst stammen von der Hausziege, wobei verschiedenfarbige Felle verwendet wurden. Die länglichen, viereckig zugeschnittenen Stücke wurden so angeordnet, daß das Oberkleid ein schönes Muster aus senkrechten Streifen erhielt, wobei sich die hellen und dunklen Streifen abwechseln. Auf Schulterhöhe wurden die Streifen in horizontaler Richtung vernäht. Der bewußte Wechsel von hellbraunen und schwarzen Streifen ist ein deutlicher Hinweis auf ein gewisses 'ästhetisches' Empfinden der Steinzeitmenschen.

Das Obergewand ist ca. 95 cm lang, d.h. es reicht von den Schultern bis zum Knie. Auf der Vorderseite war das Kleidungsstück mit ziemlicher Sicherheit offen, da der Mantel im aufgeschlagenen Zustand eine Breite von 138 cm besitzt, was bedeutet, daß die beiden unregelmäßig geschnittenen Vorderseiten einander überlappen. Es gibt aber keine Hinweise, wie der Mantel geschlossen bzw. zusammengehalten wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte zu diesem Zweck ein einfacher Gürtel oder eine Schnur gedient haben.

Unklarheit herrscht auch darüber, ob dieses Kleidungsstück Ärmel besessen hat. Etwaige Reste von Ärmeln oder Spuren angesetzter Ärmel konnten jedenfalls nicht gefunden werden. Aus diesem Grund bieten sich mehrere Varianten an: einfache Armschlitze, lange oder kurze Ärmel oder von den Schultern herabfallende Fellstücke, die die Oberarme bedecken.

Der Mantel wurde wahrscheinlich mit der Haarseite nach außen getragen, wobei die Haare allerdings inzwischen großteils ausgefallen sind. Möglich ist aber auch, daß Ötzl das Gewand der Witterung entsprechend umdrehte, im Winter mit der Haarseite nach innen, im Sommer nach außen trug.

Die Verarbeitung des Mantels war, wie bereits erwähnt, sehr sorgfältig durchgeführt worden. Die Nähte in der Überwendlingstechnik zeigen regelmäßige sauber geführte Stiche. Als Nähmaterial kamen feine, aus den Fasern von Tiersehnen gedrillte Fäden zur Anwendung. Die erhalten gebliebenen Mantelfragmente weisen auch Spuren von Reparaturen auf, wobei einzelne Risse fachmännisch mit dünnen Fäden aus Bastfasern ausgebessert sind, während andere Flicknähte eher unbeholfen mit Grasfäden genäht sind. Das legt den Schluß nahe, daß das Kleidungsstück und die gelungeneren Raparaturen von jemand anderem als seinem Träger angefertigt wurden, während Ötzl selbst die groben Ausbesserungen vornahm.


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