DIE PFEILE


In Ötzls Köcher befanden sich u.a. vierzehn Pfeile, die meisten sind zwischen 85 und 90 cm lang und ca. 1 cm dick. Davon waren aber nur zwei tatsächlich fertiggestellt, d.h. mit Feuersteinpfeilspitzen und Befiederung versehen. Allerdings waren gerade diese beiden Pfeile zerbrochen. Anhand der Blutspuren an den beiden Pfeilen vermutet man, daß die Beschädigung beim Gebrauch geschehen ist.

Die übrigen zwölf Pfeile befanden sich erst im Stadium von Rohschäften. Sie waren zwar schon entrindet, aber noch nicht geglättet. An einem ihrer Enden waren die Pfeilschäfte ca. 2 cm tief eingekerbt, um die Pfeilspitzen aufnehmen zu können.

Wie der Bogenstab zeigen die Pfeile, daß Ötzl bei der Materialwahl sehr gewissenhaft vorging. Auch hier suchte er sich eine Holzart aus, die für die Verwendung als Pfeilholz perfekt geeignet ist. Es handelt sich um die Schösslinge des Wolligen Schneeballs, die hart, zäh und leistungsfähig sind.

Der Wollige Schneeball (Viburnum lantana) ist ein 2 bis 4 Meter hoher buschiger Strauch. Seine kurzgestielten, an den Rändern leicht gekerbten Blätter haben eine ovale Form. Ihre leicht runzelige Oberseite ist dunkelgrün gefärbt, die dichtbehaarte Unterseite graufilzig. In der Blütezeit von April bis Juni besitzt der Strauch kleine duftende weiße Blüten, die zu ca. 10 cm breiten Buschen zusammengefaßt sind. Als Samen entstehen zwischen Juli und Oktober eiförmige, etwas flache Steinfrüchte, die zunächst rot gefärbt sind, sich in der Reife aber schwarz verfärben. Der Strauch ist leicht giftig.

Für die Bearbeitung der Pfeilschäfte benutzte Ötzl vermutlich den Klingenkratzer und das rasiermesserscharfe Lamellenstück aus Silex, die er in seinen Gürteltaschen mit sich führte.

Der Pfeilschaft wird an beiden Enden gerade abgeschnitten. Anschließend wird er entrindet und mit einer scharfen Steinklinge sorgfältig geglättet, um ihn gleichmäßig auszubalancieren.

Der vordere Teil des Pfeilschaftes bleibt etwas dicker, um sein Vorgewicht zu erhöhen, was die Flugeigenschaften des Pfeils verbessert.

Das vordere Ende wird dann tief eingekerbt, um den Schäftungsdorn der Pfeilspitze einzuklemmen.

Nachdem man die Pfeilspitze in die Kerbe des Schaftes getrieben hat, wird das Ganze mit Birkenrindenteer verklebt. Mit einem dünnen reißfesten Faden, gewonnen aus einer Tiersehne, wird diese Klebemasse und der Schaft noch zusätzlich umwickelt. Dabei preßt sich der Faden tief in die teerartige Klebemasse ein.

Die beiden Pfeilspitzen, die sich an Ötzls Pfeilen befanden, bestehen aus grauweißem Feuerstein und sind ungefähr 4 cm lang und 1,8 cm breit. Ihre typische Blattform arbeitete Ötzl ebenso mit seinem Retuscheur heraus, wie er damit Unebenheiten auf der Pfeilspitze durch Abdrücken von Steinspänen ausglich.

Eine solche Pfeilspitze kann von einem geübten Handwerker innerhalb von 15 Minuten aus einem Feuersteinabschlag herausgearbeitet werden.

Anhand der steinzeitlichen Funde läßt sich feststellen, daß der Feuerstein das gebräuchlichste Material für die Herstellung von Pfeilspitzen war. Mitunter wurden aber auch Knochen und Geweih zu Pfeilspitzen verarbeitet.

In Ötzls Köcher befanden sich jedenfalls vier bis zu 16 cm lange Geweihspitzen, die in einem Bastbündel zusammengebunden waren. In Ermangelung von Feuerstein könnten ihm diese Geweihstücke als Ersatzmaterial für die Pfeile gedient haben.

Am hinteren Schaftende wird die ca. 1,5 cm tiefe Sehnenkerbe (auch Pfeilnock bzw. Klemmnock genannt) eingeschnitten.

Vor diese Sehnenkerbe bringt man nun die dreiteilige Radialbefiederung an. Diese Befiederung gibt dem Pfeil seine Drehbewegung und stabilisiert somit seinen Flug.

Die Länge der Befiederung ist so gewählt, daß sie nach Einlegen des Pfeils in die Sehne nicht den Griff des Bogens berührt und dadurch beschädigt werden könnte.

Die einzelnen Federn werden ihrer Mitte entlang durch Aufschlitzen des Federkiels mit einer scharfen Feuersteinklinge, z.B. mit dem Lamellenstück aus Ötzls Gürtel, halbiert. Anschließend werden die einzelnen Federfahnen auf die gewünschte Form und Länge zugeschnitten.

Der Pfeilschaft wird auf einer Länge von ca. 13 cm weiter geschmälert und mit drei flachen Einschnitten versehen. Die Einschnitte werden mit einer dünnen Schicht Birkenrindenteer bedeckt, bevor man die Federhälften in sie hineindrückt.

Zum Schluß wird die Befiederung mit einem dünnen Faden aus den gedrehten Fasern einer Nessel spiralförmig umwickelt. Mit Hilfe eines Geweihdorns wird während dieses Arbeitsgangs die Federfahne auseinandergespreizt, um das Durchziehen des Fadens zu erleichtern.

Die Befiederung an Ötzls Pfeilen stammt von den Schwanz- und Flügelfedern eines größeren Vogels, z.B. Krähe, Dohle, Adler, Geier usw.

Der Zustand, in dem sich Ötzls Pfeile befinden, zeigt, daß der Mensch der Steinzeit die Pfeile nicht einzeln - Stück für Stück - herstellte, sondern bereits eine Art Serienanfertigung betrieb. Das hatte den Vorteil, daß nicht ständig das Werkzeug gewechselt werden mußte.



Zu Ötzls Zeit hatte man auch ein eigenes Gerät zum Glätten eines Pfeilschaftes entwickelt. Der sogenannte 'Pfeilschaftglätter' besteht aus einem faustgroßen grobkörnigen Sandstein mit einer halbkreisförmigen Rille, durch die der Pfeil gezogen und damit geglättet wird. Eventuell legte man auch zwei solcher Steine aneinander, um eine runde Röhre zu erhalten, durch die man den Pfeil ziehen konnte.

Ötzl selbst führte zwar kein solches Werkzeug mit sich, aber es gibt aus ganz Europa Funde, die dieses Gerät belegen.


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